Fingerübungen

Der Anfang wie immer. Eine leichte Berührung. Von Hand zu Hand. Im Vorübergehen. Zufällig. Flüchtig.

Manchmal: Ein Später. Ein Anruf. Eine Einladung. Ein Blick!

Die Hände abwartend. Wie fehl am Platze. Nur zum Nützlichen zu gebrauchen. Stühle zurechtrücken, filetieren, anbieten, schneiden, die Gabel zum Mund führen. Abwarten, bis sie dürfen, was sie wollen.

Beginnend mit: Worte untermalen, ein Ballett aus zehn Fingern. Verschleiern, behaupten, angreifen, sich wehren, erheben, verurteilen, erklären. Die linke mit der rechten, die rechte mit der linken. Im Einklang wie im Widerspruch. Mit der Verletzlichkeit des Ungeübten. Dabei zu Extremen neigend. Begehren erweckend, Schaum schlagend, alles beteuernd.

Bis sich schließlich zwei Hände über den Tisch schieben. Sehr langsam. Feuchte Hände, fiebrige Hände. Unsichere Hände.

Sie spreizt ihre freie, greift zur Tasse, legt sie zurück auf den Tisch. Aber wie! Führt sie an der Nase entlang. Lockt, zieht zurück, bietet an. Ist offen und scheu. Ist mutig und ängstlich. Ist voller Liebe, sehnsüchtig und zugleich über alles verwundert, erschrocken. Vorsichtig.

Alles drängt weiter. Will mehr. Erfahren. Wissen. Kennen lernen. Wie sich ihr Hals anfühlt. Ihre Wangen, ihr Mund.

Plötzlich ein Lächeln. Kein Halten mehr! Die Hände ergreifen voneinander Besitz. Ziehen die Körper über den Tisch. Sind wie Enterhaken eines Piratenschiffes.

Noch ist nicht klar, wer Pirat und wer Beute ist. Schon sind die Zungen ineinander verschlungen. Flimmern die Augen, wird es zwischen den Beinen heiß. Jagen die Hände süchtig über die Hosen, Pullover, T-Shirts und Hemden. Bis alles abgetastet ist. Bis sie ausziehen, was zwischen ihnen zu verglühen droht.

Sie kneten, streicheln, fliegen, verweilen, kreisen, hüpfen, graben sich ein, suchen, was unter ihren feuchten Spitzen sich erregen lässt. Anschwellen kann. Sind gierig, den Erfolg zu fühlen. Treiben an und sind getrieben. Sind die Rotoren einer großen Lustmaschine, die gleich abzuheben beginnt. Höher und höher. Heißer und heißer. Heftiger und heftiger. Bis auch sie nur noch störend sind. Nur noch stützen und halten. Ein wenig streicheln, drücken, näher ziehen. Und warten, bis sich die Augen schließen, aus den Mündern die Schreie der Lust entfliehen.

Dann ein letzter Einsatz. Ausklang. Die glühenden Häute kühlen. Das Entfernen verzögern. Die Wiederholbarkeit beschwören. Und doch schon die Kühle des Abschieds spürend. Rückkehr zu Routine. Statt Kür Pflicht.

Handlungen wie: Überweisungen ausfüllen, einen Text schreiben, den Abfall weg bringen, Geschirr spülen. Arbeiten, arbeiten, arbeiten.

Und warten. Bis sich wieder ein erregender Körper nähert. Bis zwischen den Fingern wieder der Schweiß ausbricht, Unruhe die Hände ergreift. Die unsichtbaren Handschellen des Alltags gelockert werden. Und sie wieder erobern, entdecken, erregen dürfen. Wieder Starkstrom durch die Finger fließt. Mehr und mehr. Schneller und schneller. Immer begieriger, heißer, süchtiger. Hin und her. Von Körper zu Körper. Von Geschlecht zu Geschlecht, von Haut zu Haut. Bis die Finger alles vergessen, was sie ansonsten quält. Bis sie nur noch kreisen, kreisen, kreisen und sich alles unter ihnen dreht.